142 Day and Dream
Aquarell / Pastell
1946Amsterdam
1948 (aquarelliert)Saint Louis
Mappe mit 15 Lithografien, aquarelliert, und einer Titellithografie auf Velin
ca. 400 × 300 mm (Blatt)
Jeweils signiert unten rechts: Beckmann
Jeweils nummeriert mit Exemplar- und Auflagenummer unten links: [x]/90
Jeweils bezeichnet mit Blattnummer unten Mitte: I [–] XV
Es sind 90 nummerierte (Nr. 11, 18, 29 und 31 koloriert) und 10 nicht nummerierte Exemplare (eins koloriert) sowie drei kolorierte Einzelblätter bekannt.
Verlag Curt Valentin, New York
Exemplare / Einzelblätter (6)
Tagebücher
MB-TGB 13.04.1948
»Dienstag 13. April 1948. 15 ,Day and Dream‘ Lithos angepinselt, ganz unterhaltend, aber doch eine unfruchtbare Sache – na, muß auch mal sein [...]« (S. 260).
MB-TGB 20.04.1948
»Dienstag 20. April 1948. [...] Etwas ,Day and Dream‘ aquarelliert [...]« (S. 261).
MB-TGB 26.04.1948
»Montag 26. April 1948. [...] Nachmittag etwas aquarelliert [...]« (S. 262).
MB-TGB 08.05.1948
»Samstag 8. Mai 1948. [...] ,Day and Dream‘ fertig aquarelliert [...]« (S. 264).
MB-TGB 11.05.1948
»Dienstag 11. Mai 1948. [...] Curt [Valentin] dann nochmals bei mir, nahm 4 aquarellierte ,Day and Dream‘ mit und reiste müde aber freundlich ab [...]« (S. 264).
Werkverzeichnisse
MB-A/P 142
Beckmann / Gohr: 142
Hofmaier: 357–371
Gallwitz: 288 – 303 [Exemplar 52/90, Bremen]
Englischer Titel
Tag und Traum
Spanischer Titel
Dia y Sueño
Provenienz
Die Provenienzen der einzelnen Exemplare oder Blätter werden im jeweiligen Werkeintrag aufgeführt. Siehe unter Weiterführende Pastelle / Aquarelle.
Max Beckmann. Die Aquarelle und Pastelle
Einzelausstellung, Wanderausstellung
FRANKFURT AM MAIN Schirn Kunsthalle 2006
Zwischen Traum und Obsession – Grafische Erzählungen bei Picasso und Beckmann
Aufsatz
BIRTHÄLMER 2023
Papier und Farbe
Aufsatz
BECKMANN MAYEN 2006a
Beckmanns Aquarelle und Pastelle
Aufsatz
GOHR 2006
Max Beckmann
Ausstellungskatalog
LONDON Tate Modern 2003
Selbstgespräche. Aquarelle und Pastelle von Max Beckmann
Aufsatz
GOHR 2001
Max Beckmann Druckgraphik. Verzeichnis der Bestände des Sprengel Museum Hannover
Museumskatalog
HANNOVER Sprengel Museum 1999b
Max Beckmann – Apokalypse. Theorie und Praxis im Spätwerk
Dissertation
WAGNER ERNST 1999a
Max Beckmann – Welt-Theater. Das graphische Werk 1901 bis 1946
Ausstellungskatalog
MÜNCHEN Villa Stuck 1993
Hinter der Bühne, Backstage, Max Beckmann 1950. Eine Neuerwerbung der Städtischen Galerie im Städelschen Kunstinstitut Frankfurt am Main 1990
Ausstellungskatalog
FRANKFURT AM MAIN Städtische Galerie im Städelschen Kunstinstitut 1990
Max Beckmann. Catalogue Raisonne of his Prints, Band I und II
Werkverzeichnis
HOFMAIER 1990
Day and Dream
Aufsatz
SONNABEND 1990b
Max Beckmann (Leipzig, 1884 – New York, 1950). Works on Paper, Sculptures
Ausstellungskatalog
CHICAGO Worthington Gallery 1985
Themenwahl und Bildwelt in Beckmanns Druckgraphik
Aufsatz
FISCHER 1976b
Max Beckmann. Die Druckgraphik. Radierungen, Lithographien, Holschnitte
Werkverzeichnis
KARLSRUHE Badischer Kunstverein 1962
Material / Technik
Papier
Von März bis Juni arbeitete Beckmann an einem Mappenwerk, das schließlich fünfzehn Lithografien umfasste. Längere Zeit waren nur zehn Motive geplant gewesen. Den Auftrag erhielt der Küstler von Curt Valentin, der als Kusthändler, Galerist und Verleger in New York arbeitete. Er ließ Beckmann freie Hand, was die Technik der Blätter betraf. Er erwähnte mehrfach die Möglichkeit, Radierungen zu schaffen. Aber Beckmann entschied sich für die Lithografie, die er höchst unterschiedlich nutzte. Das lehrt ein Blick auf die gesamte Folge, wo manchmal die Zeichnung mit Lithografiekreide die Wirkung bstimmt, manchmal dichte Strichlagen der Tuschfeder. 1948 wurden auf Wunsch von Valentin fünf Folgen aquarelliert. Daneben enstanden drei einzelne farbige Blätter. Um Beckmanns Vorgehen beim Kolorieren zu verstehen, eignet sich das Exemplar 29 [MB-A/P 142.3], das Curt Valentin gehörte und heute in der Kusthalle Bremen verwahrt wird.
Usprünglich hieß die Mappe Time-Motion und sollte nur zehn Nummern umfassen. Beckmann hatte genug Motive, wie er an Valentin berichtete: »Ideen liegen massenhaft vor. Man könnte ein[e] Mappe mit biblischen oder mythologischen Motiven eine Circus- und Cafémappe oder auch alles zusammen machen. Ein Titel wird sich schon finden. Man müsste das Format wissen.« [1] Es wurde eine Größe von 40 × 30 cm beschlossen. Im Unterschied zu früheren grafischen Zyklen wie Die Hölle [Hofmaier 139–149], Jahrmarkt [Hofmaier 191–200] oder Berliner Reise [Hofmaier 212–222] strebte Beckmann keine thematische Einheit oder Verklammerung an, sondern eine Art Kaleidoskop aus seinen vorhandenen Motiven. Manche waren von seiner holländischen Umgebung inspiriert, einige aus dem eigenen Werk abgeleitet, andere aus seiner Lebenswelt gewonnen. Der Stil des Zeichnens erinnert in manchem Blatt an die Illustrationen zu Goethes Faust II, die Beckmann während des Kriegs für den Chef der Bauerschen Gießerei Georg Hartmann (1870–1954) in Frankfurt am Main schuf. Wie in den früheren Grafikfolgen eröffnet ein Selbstbildnis die Reihe der fünfzehn Blätter von Day and Dream; als zweites Blatt zeichnete Beckmann eine Darstellung, die eine Wetterfahne vor dem weiten Horizont Hollands zeigt, also des Landes, wo er sich befand. Die Buchstaben »C« und »V« für Curt Valentin sind in der Pfeilspitze und dem Bogen der Figur enthalten. Auf diese Weise sind in den beiden ersten Blättern die Beteiligten am Mappenwerk verewigt.
Folgende Kompositionen verdanken sich Eindrücken aus Amsterdam oder Holland: IV Tango – die Idee stammte wohl aus dem Kabarett La Gaité; VII Dancing Couple – eine Szene, die Beckmann im Amsterdamer Nachtleben häufig beobachten konnte; IX The Buck – ein zutraulicher Ziegenbock, der sich mit Quappi bei einem Aufenthalt auf dem Lande anfreundete; XI Morning – eine Bordellszene mit Holländerin in der typischen Kopftracht; XII Circus – ein Milchfahrer, der seine Ware als große Flasche auf dem Fahrrad transportiert: »MELK«. Weitere Blätter greifen ins Allgemeine: VIII King and Demagogue, XIII Magic Mirror, XIV The Fall of Man und XV Christ and Pilate. Einen Bezug zur Nachkriegszeit stellt das Blatt X Dream of War her, wo die bewaffnete Kriegerfigur auf einem Wagen abtransportiert wird, aber per Aufschrift droht, zurückzukommen: »I COME BACK«. Bald entbrannte der Koreakrieg.
Day and Dream ist zu Beckmanns Triptychen in Beziehung gesetzt worden; das scheint etwas gewagt. Die mehrteiligen Gemälde zeigen komplexe Szenen, zum Beispiel zwischen Mann und Frau, Menschen- und Götterwelt oder Theater und Realität. Das Mappenwerk führt stattdessen Kondensate aus Beckmanns Werken vor Augen. Er macht klar, dass es seine Welt ist, die hier zu sehen ist; denn das Selbstbildnis am Beginn ist programmatisch zu verstehen. Und dass ein Pilatus als Paraphrase eines Selbstporträts mit Christus das Schlussbild des Zyklus markiert, erweitert die Thematik in grundsätzliche Dimensionen. Pilatus’ berühmte Frage »Was ist Wahrheit?« (Joh 18,38) scheint er drängend an Christus zu richten. Sie war auch Beckmanns Grundfrage bei allen seinen theologischen, philosophischen und mythologischen Spekulationen.
Als er auf Wunsch Valentins einige Serien kolorierte, bot sich die Möglichkeit, die Motive attraktiver und vielfältiger zu machen. Im Vergleich mit den vorausgegangenen kolorierten Illustrationen zur Apokalypse [MB-A/P 102] wählte Beckmann eine zarte Farbgebung. Mit dieser wird der Eindruck des Unwirklichen, eines Zwischendaseins zwischen Wachsein und Traum erzeugt. Durchgängig gestaltete er die Motive ohne einheitliche Begrenzung - eine Ausnahme bildet das Selbstbildnis am Beginn. Die übrigen Motive wurden wie Vignetten (oder Abbreviaturen) behandelt, sodass sie losgelöst von Raum und Perspektive auf dem Blatt erscheinen. Unregelmäßige Darstellungsränder hatte Beckmann auch schon in den Grafikzyklen der Zwanzigerjahre verwendet; nun wird dies als Stilprinzip sichtbar. Die Motive wirken wie eingeblendet und ziehen sich bald wieder zurück ins Unsichtbare. Sie erscheinen wie ein Aufflackern der Erinnerung, wie eine Probe auf deren Wahrheitsgehalt. Es gibt also einen Unterschied des Realitätsgehalts, denn das Selbstbildnis mit schwarzer Kappe und Zigarette gehört einer anderen Ebene an als die übrigen Blätter. Nur sehr zurückhaltend setzte Beckmann hier Farbe ein. Deshalb erhielt das Gesicht lediglich die Andeutung von Hautfarbe und das Jackett schimmert in hellem Blau, sodass das Schwarz der Tuschfeder dominierend bleibt. Ikonografisch ist das Porträt vergleichbar mit dem Selbstbildnis [MB-G 391] – schwarze Kappe und frontale Ansicht kehren 1946 wieder, allerdings ohne die Schutzhaltung der Hände vor dem Körper und ohne die Anklänge an die Kleidung eines Außenseiters wie 1934. Der Blick ist nicht auf den Betrachter gerichtet, sondern in eine unbestimmte Ferne, aus der die Motive in die Imagination des Künstlers kommen.
Die vierzehn weiteren Motive verdanken sich nicht der Anschauung, sondern der Reflexion über das eigene Schaffen des gut 60-Jährigen. Die Kolorierung verdeutlicht den Status der Bildmotive, der Elemente der Realität erfasst, aber die Farben folgen einer eigenen Gesetzlichkeit. Immer wieder taucht eine unerwartete Tönung auf. Das Blau unter der Figur in Blatt III Sleeping Athlete, das Gelb des Tanzbodens in Blatt IV sowie auf den Blättern XII, XIII und XIV. Das helle Grün bei Blatt V Crawling Woman, das Orange in Blatt VII und VIII, das Rot auf den Blättern VI und VIII sowie X, XI, XII und XIII.
Mit dieser Methode war Beckmann in der Lage, Akzente zu setzen und die Farbgebung von mimetischen Zwängen zu befreien. ›Kolorierung‹ heißt, so angewandt, nicht vor allem das Sichtbare sichtbarer zu machen, sondern eine andere Intensität von Aufmerksamkeit hervorzurufen. Es entsteht eine Metaebene, die über Kolorierung im traditionellen Sinne hinausstrebt.
NB: Weil in der Folge der fünfzehn Lithografien nicht enthalten, wurde das Blatt Globus und Muschel bisher kaum erwähnt. Die Reproduktion einer so bezeichneten verschollenen Zeichnung wurde auf die Mappe mit den fünfzehn Lithografien geklebt. Beckmann erläuterte die Wahl dieses Motivs nirgendwo. Sowohl Globus als auch Muschel befanden sich als Gegenstände in seinem Besitz. Im Jahr 1926 tauchte die große Muschel zum ersten Mal in einem Stillleben [MB-G 250] auf, danach bis in die Vierzigerjahre immer wieder [MB-G 286, 533, 619, 694]. Als 1927 ein Buch anlässlich von Julius Meier-Graefes (1867–1935) 60. Geburtstag von drei Verlagen aus München, Berlin und Wien herausgegeben wurde, steuerte Beckmann die Radierung Globus und Muschel [Hofmaier 311] für die Luxusausgabe bei [2]. Vielleicht hatte dies der Verleger Reinhard Piper (1879–1953) angeregt. Die Gegenstände wirken wie eine Auswahl der Dinge, die auf barocken Vanitas-Stillleben in den Niederlanden dargestellt wurden. Damals, 1927, wohl als Hinweis auf die breit gefächerte Kennerschaft des Kunsthistorikers Meier-Graefe gemeint.
Nachdem der Künstler den Zweiten Weltkrieg mühsam überstanden hatte, versammelte er zentrale Themen seines Werkes wie zur Prüfung, ob das Erreichte noch galt oder ob er sich vergeblich gemüht hatte, etwas von den Geheimnissen des Lebens zu enthüllen. Aber die Grafikfolge kann auch sehr praktisch verstanden werden als eine Art Übersicht über Beckmanns Schaffen, die für den US-amerikanischen Markt hilfreich sein konnte.
[1] Brief von Max Beckmann an Curt Valentin von Anfang/Mitte März, in BECKMANN MAX 1996, Nr. 765, S. 116.
[2] Julius Meier-Graefe. Widmungen zu seinem 60. Geburtstage, erschienen 1927 bei R. Piper & Co. in München, Ernst Rowohlt in Berlin und Paul Zsolnay in Wien. Die Vorzugsauflage erschien in einer Auflage von 150 Exemplaren mit fünf Radierungen von Max Beckmann, Lovis Corinth, Rudolf Großmann, Karl Hofer und Felix Meseck.
»Auf Wunsch des Verlegers Curt Valentin hat Max Beckmann 1948 vier nummerierte Exemplare (11, 18, 29, 31) sowie ein weiteres, nicht nummeriertes Exemplar aquarelliert. Außerdem sind drei aquarellierte Einzelblätter bekannt.« (BECKMANN MAYEN / GOHR 2006, S. 311)
Das Mappenwerk entstand 1946 auf Anraten des Kunsthändlers Curt Valentin. Auf seinen Wunsch hin, aquarellierte Max Beckmann außerdem 1948 einige der Exemplare.
Eine vollständige Mappe beinhaltete neben einem vierseitigen Deckblatt 15 Lithografien:
[Stillleben mit Globus - Titelblatt]
I Self-Portrait
II Weather Vane
III Sleeping Athlete
IV Tango
V Crawling Woman
VI I don’t want to eat my Soup
VII Dancing Couple
VIII King and Demagogue
IX The Buck
X Dream of War
XI Morning
XII Circus
XIII Magic Mirror
XIV The Fall of Man
XV Christ and Pilate
Die Ausstellungshistorie ist bei den jeweiligen Exemplaren sowie den einzelnen Blättern nachzulesen.
Auf folgenden Auktionen wurden kolorierte Blätter aus der Werkserie versteigert, die bisher keinem Exemplar zugeordnet werden können:
BERLIN Villa Grisebach 28. Mai 2011 (Lot 347: XIII Magic Mirror); MÜNCHEN Ketterer Kunst 10. Dez 2016 (Lot 232: VIII King and Demagogue).
Sigle
MB-A/P 142
URL
https://max-beckmann.org/mb/ap/142 [letzter Zugriff: 14.02.2025]